Wir lieben digitale Gimmicks. Unsere Waschmaschine lässt sich übers Internet steuern und wir können die Luftqualität im Haus online ablesen. So richtig in der digitalen Alltagswelt angekommen sind wir aber seit Herbst 2016. Seitdem fahren wir nämlich einen Tesla. Ein Model X, um genau zu sein. Warum dieses Auto „Digitalisierung daheim“ nochmal richtig deutlich macht, berichte ich Ihnen hier.

Die meisten Menschen sehen die Fahrzeuge von Tesla in erster Linie unter dem Aspekt des elektrischen Antriebs. Für uns war der Elektroantrieb nichts Neues, denn unser Zweitwagen war bereits seit 2012 ein Stromer. Nun stehen zwei Stromer in unserer Garage und laden den Strom der hauseigenen Photovoltaikanlage. Das beeindruckende Drehmoment schon bei niedrigen Geschwindigkeiten, das leise Fahrgeräusch, die Wirkung der Rekuperation (Link https://de.wikipedia.org/wiki/Rekuperation_(Technik)) und der verstohlene Blick auf den Ladezustand waren uns schon von unserem Kleinwagen vertraut.

Das Model X ist dabei natürlich deutlich spektakulärer als der kleine Stromer: die Beschleunigung ist atemberaubend, die Höchstgeschwindigkeit beeindruckend und das Fahrgefühl phänomenal. Beim Tesla hatten wir auch noch nie ein Problem mit der Reichweite, denn wir legen bei längeren Fahrten ohnehin immer wieder Pausen ein, und die Aufladung beim nächsten Supercharger wird schon bei der Routenplanung des Navis berücksichtigt. Wie wohl die meisten E-Auto-Fahrer könnten wir uns nicht mehr vorstellen, einen Verbrenner zu fahren. Müssen wir dies doch tun, fühlen wir uns ein bisschen wie ein Dinosaurier.

Der Tesla: Ein IT-System auf Rädern

Mindestens so spannend wie den Elektroantrieb finden wir beim Tesla jedoch die konsequente Digitalisierung. Und damit das Gefühl, weniger ein Auto als einen Computer zu fahren.

O.k., jedes moderne Auto hat einen Bordcomputer. Bei Tesla ist das ziemlich konsequent durchgeführt – es gibt kaum so etwas Urzeitliches wie Schalter oder Knöpfe – das läuft alles über das riesige Display, das je nach Bedarf Navigation, Innenraumbedienung, Radio, Rückfahrkamera und was man eben gerade so braucht, einblendet. Auch die Instrumente arbeiten nicht analog mit Zeigern, sondern es werden im Fahrerdisplay die relevanten Fahrtwerte und -informationen konfigurierbar eingeblendet.

Ich geh mal schnell das Auto booten

Natürlich kann man den Bordcomputer von Tesla booten, wie jeden anderen Bordcomputer auch. Was für uns neu war, ist, dass man auch das ganze Auto booten kann, denn bei Tesla spielt die Software eine sehr prominente Rolle. Und so wird man gelegentlich gefragt, ob man einen neuen Software-Release einspielen will. Lässt man das beispielsweise über Nacht zu, wird man morgens vom Bordcomputer mit den Release Notes zum über Nacht eingespielten neuen Release begrüßt. Denn selbstverständlich verfügt das digitale Fahrzeug über einen Internetanschluss. Zur Erinnerung: konventionelle Fahrzeuge müssen für ihre Softwareupdates in die Werkstatt.

Wie es sich für einen echten neuen Softwarerelease gehört, wird in den Release Notes ausführlich über die neuen Features (aber nicht etwa über behobene oder gar nicht behobene Fehler) berichtet. Und wie beim Release jeder Software, gehen danach plötzlich Dinge nicht mehr, die vorher einwandfrei funktionierten. Beispiel gefällig? Seit dem letzten Update unseres Model X gerät das Autoradio immer mal wieder in einen Zustand, in dem es einmal pro Minute für drei Sekunden aussetzt. Bootet man den Bordcomputer, hört das wieder auf. Der Tesla-Support sagt, sie sind dran. Und irgendwann werden wir wieder einen neuen Release einspielen, mit dem dieses Problem behoben wird und ein anderes auftaucht.

Das ist beim konventionellen Fahrzeug ähnlich, wenn Softwareupdates in der Werkstatt eingespielt werden. Doch durch die Internetanbindung können Updates häufiger erfolgen. Vor allem aber nutzt Tesla die Updates für weitreichende Verbesserungen von Features. Funktionen wie ein neuer Fahrassistent oder die Erhöhung der Ladekapazität können ohne Weiteres Teil eines solchen Updates sein.

Fleißige Datensammler

Die Internetanbindung hat noch andere Auswirkungen. Die Navigation erfolgt über Google Maps, es gibt keinen CD-Player oder USB-Port für eigene Musik, sondern einen Spotify-Account. Und Tesla zieht Daten über das Fahrzeug und dessen Nutzung. Der Tesla-Support weiß, wann wir das Fahrzeug geladen haben oder wie wir damit gefahren sind. Alle Daten stehen den Technikern zur Auswertung und Fehlerbehebung zur Verfügung. Tritt ein Problem auf, ruft man bei Tesla an. Das fühlt sich manchmal in etwa so an wie bei der Hotline eines Softwareherstellers, der sich auf das Kundensystem aufschaltet. „Das wird im nächsten Release behoben,“ ist eine Antwort, die es bei Tesla genauso gibt wie bei einem IT-Hersteller. Datensparsamkeit ist jedenfalls keine Priorität dieses digitalen Fahrzeugs. Und ob die IT-Sicherheit der Internetanbindung und Fahrzeug-IT gewährleistet ist, lässt sich nur schwer nachprüfen.

Wenn das Auto dem Fahrer nicht vertraut

Nun besteht so ein Auto ja nicht nur aus Software, auch ein Tesla nicht. Das Model X, das wir fahren, fällt durch die sich prominent nach oben öffnenden Flügeltüren auf – übrigens mit ein Grund, warum man als Tesla-Fahrer hin und wieder Probleme hat, zu seinem Auto durchzudringen, weil so viele Schaulustige davor stehen. Die Flügeltüren funktionieren aufgrund umfassender Sensorik in vielen verschiedenen Situationen – nur nicht in unserer Garage. Zwar hätten die Türen genügend Platz, um sich vollständig zu öffnen, aber die Steuerung ist ein bisschen vorsichtig und öffnet lieber nicht ganz, um Beschädigungen auf jeden Fall zu vermeiden. Dafür blendet der Bordcomputer eine Schaltfläche ein, mit der man dem Auto sagen kann: hier, in dieser Garage kannst du die Türen ganz öffnen – vertraue mir!

Unser Tesla wollte uns nicht vertrauen. Die Schaltfläche bewirkte – nichts. Anruf bei Tesla: Rätselraten. Wir fuhren zur Tesla-Werkstatt: Rätselraten. Man versprach uns zu recherchieren, was das sein könnte und sich wieder zu melden. Das geschah auch, und zwar mit folgendem Vorschlag: „Wenn wir das nächste Mal ein Model X bei uns haben, fahren wir bei Ihnen vorbei und probieren aus, ob das mit einem anderen Fahrzeug in ihrer Garage auch passiert. Dann können wir gezielt weiter nach dem Fehler suchen.“ Wir waren sprachlos: genau so, aber wirklich genau so würde auch ein IT-Support reagieren: wir haben keine Ahnung, warum die Software nicht tut, was sie soll, also tauschen wir versuchsweise die Hardware, vielleicht ist ja die schuld. Jetzt wussten wir ganz sicher: das ist kein Auto, wie wir es bislang kannten, das ist ein IT-System mit Rädern.

Allerdings kam es nicht bis zum Hardwaretausch. Der Tesla-Support hatte nämlich die rettende Idee. Des Rätsels Lösung war ganz einfach: bei der Gestaltung der deutschen Benutzerführung ging die Funktion der besagten Schaltfläche verloren. Einmal kurz den Bordcomputer auf Englisch umgestellt, dem Auto das Türenverhalten in unserer Garage erklärt, und wieder auf Deutsch zurückgestellt: seitdem öffnen die Türen auch in unserer Garage so, wie sie sollen. In der Tat: es ist ein IT-System. Und genau das bedeutet Digitalisierung: vertraute Geräte und Maschinen entwickeln sich zu IT-Systemen.

Digitalisierung kommt – und macht nicht vor unseren Haustüren Halt

Wir kommen aus der IT. Für uns fühlt sich die Softwarezentriertheit des Tesla vertraut an. Häufige Updates schrecken uns nicht, wir haben ohnehin jede Woche mehrere IT-Systeme im Haus, die Patches oder Releases eingespielt bekommen, und unsere 4-köpfige Familie nutzt mehr IT als der durchschnittliche Mittelständler. Wir sind mit all diesen Abläufen vertraut und empfinden dies als angenehmer verglichen mit einem konventionellen Fahrzeug. Bei unseren Verbrennern haben wir erlebt, dass Fehlermeldungen des Bordcomputers zu unerklärlichen Vorkommnissen deklariert wurden, die man dauerhaft ignorieren könne. Wir kennen genügend Fahrer von Premiumfahrzeugen, die immer wieder wegen Problemen mit der Elektronik in die Werkstatt müssen und dann längere Zeit warten, bis sie ihr Fahrzeug wieder fahren können. Das ist bei Tesla anders und für uns eine deutliche Verbesserung.

Fahrer, die wenig IT-affin sind, dürften mit einem digitalisierten Fahrzeug hingegen erhebliche Eingewöhnungsprobleme haben. Wir glauben, dass der Schritt vom Verbrenner zum Elektromotor trotz aller Unterschiede im Fahrverhalten deutlich einfacher zu meistern ist als der Umstieg vom konventionellen zum digitalen Fahrzeug. Digitalisierung erfordert Vertrautheit mit der digitalen Welt. Und diese Vertrautheit ist nicht gegeben, wenn Menschen beispielsweise nur sehr zaghaft die Funktionalität ihrer Smartphones, PCs oder moderner Unterhaltungselektronik nutzen können (oder wollen). Digitalisierung werden wir nicht nur bei Fahrzeugen erleben, sondern in vielen Bereichen unseres Lebens. Wenn wir hier niemanden abhängen wollen, müssen wir auch diesen Menschen digitale Teilhabe ermöglichen!

Was ist noch zu tun?

Und dann bleiben da noch ein paar äußerst wichtige Aspekte, die zu klären sind. Es braucht Transparenz hinsichtlich der Erhebung und Verarbeitung der Daten sowie Möglichkeiten, diese einzuschränken oder zu kontrollieren. Es braucht Transparenz und Mindestanforderungen hinsichtlich der IT-Sicherheit. Letztlich muss auch die Funktion des Internets als kritische Infrastruktur weiter geschützt und sichergestellt werden, wenn derart kritische Prozesse mehr und mehr über das Internet abgewickelt werden. Und was die Elektromobilität angeht: es bräuchte mehr KFZ-Werkstätten, die überhaupt Reparaturen an einem Elektrofahrzeug durchführen können und eine umfassende, leistungsfähige Ladeinfrastruktur.

Trotz aller offenen Fragen und unerwarteten Erlebnisse: wir möchten nie mehr zurück in die Epoche der konventionellen Fahrzeuge. Dafür macht Elektromobilität einfach viel zu viel Spaß. Dafür liefert das digitale Fahrzeug einfach viel zu viel Mehrwert.

Dieser Artikel erscheint auch im Unternehmensblog der genua GmbH (https://blog.genua.de/) und nimmt an der Blogparade Elektromobilität https://ingenieurversteher.de/2017/07/18/blogparade_2017/ des „Ingenieurversteher-Blogs“ teil.

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